06 Oktober 2016

Neues und Altes und neues Altes

Bevor ich nach China kam, habe ich mich gefragt, wer mir all die kommunistischen Parolen übersetzt, die man ja aus solchen Ländern kennt und die ich sogar noch persönlich gesehen habe zu seligen DDR-Zeit, bloss eben auf Deutsch. Mein Bruder musste mich enttäuschen: sowas wirst du in Shanghai wahrscheinlich überhaupt nicht mehr sehen, dafür ist die Stadt viel zu kapitalistisch orientiert. Was die in Peking machen, interessiert hier sowieso keinen… und so weiter.
Na gut, dann muss ich mir das eben in der Phantasie vorstellen: über vielen Einfahrten oder Eingängen Gold auf Rot: „Voran mit dem Vorsitzenden Mao zur Erreichung der Ziele des Fünfjahrplanes“ oder „Die Worte Maos als Leitpfad zum Kommunismus!“… Mein Bruder: das ist eine Einfahrt zu einem grossen Baumarkt, die verkaufen da schöne Sachen zum Selberbauen; das da ist die Werbung…

In der Tat, China und wohl insbesondere Shanghai ist nicht mehr so wirklich das Land des Grossen Vorsitzenden, stattdessen das des Turbokapitalismus. In den elitären Einkaufsstrassen reiht sich ein Uhrenladen an den anderen, schön eingerahmt von der chinesischen Variante des Sternenbanners. Und die Strassen sind so voll mit Konsumenten, dass man glaubt, es geht nur noch ums Geldausgeben. Übrigens: ein Smartphone hat hier jeder ab mindestens 12 Jahren bis hinauf ins Greisenalter. Und wenn man an einem ärmlichen Verkaufsstand vorbeikommt, dann schauen die ärmlichen Leute nicht andere Leute an, sondern zumeist ihr Telefon…



Der Zugang zum Internet ist allerdings fest in der Hand der Regierung. Bestimmte Webseiten wie zB. Google mit meiner Blogger-Seite sind praktisch gar nicht zu erreichen (weil Google sich vor einigen Jahren weigerte, bei der Zensur mitzuhelfen), und auch die VPN-Verbindungen werden regelmässig blockiert. Was gut geht ist Roaming mit meinem Swisscom-Abo, das wird wahrscheinlich direkt nach Europa durchgeleitet – harmloser Tourist. Somit kommt leider das Bloggen etwas kurz, denn es ist recht mühsam, das langsame VPN zu benutzen und über das Handy wird dann das gekaufte Datenpaket ziemlich schnell verbraucht.

Buddhistischer Tempel in Qibao - Mehr Gold als bei den Katholiken..

Andererseits waren wir in den letzten drei Tagen nicht ganz untätig. Wir haben das neue Shanghai besucht, den Shanghai Tower in Pudong, der zwischen all diesen neuen Hochhäusern steht und gerade erst eröffnet wurde. Vor dreissig Jahren gab es hier nur kleine Hütten, verwinkelte Quartiere und viel Armut. Davon sieht man heute nichts mehr. Wir wollten trotzdem einen Eindruck davon und sind am nächsten Tag in ein „historisches“ Viertel zum Frühstück gefahren: in die „Kommune“ (ich muss das Stadtviertel noch nachreichen…) Angeblich ist hier alles wie zur Revolution, allerdings kamen mir die Modeläden, Souvenierläden, Cafés und etc-Läden schwer touristisch vor. Die Krönung waren die ganz kommunistischen Kaffeebecher im Email-Look mit Beule, die aber an jedem Becher gleich geformt war, ganz davon abgesehen, dass dieser aus Keramik war… Das war ein schönes, auf Alt gemachtes Stück Shanghai, was ich umgehend bei meinem Bruder reklamiert habe.

Auf alt gemachte Kaffeebecher mit Beule - Aus Keramik

Also sind wir am gestrigen Mittwoch nach Qibao gefahren, gleich mit dem Stadtbus, ein paar Stationen vom Compound entfernt. Das ist zwar auch ein wenig touristisch, aber immerhin für chinesische Touristen. Hier gab es tatsächlich noch Läden, wo Sachen verkauft werden, die der Chinese zum Alltag benötigt, dazwischen unendliche Mengen von Garküchen und zwischen diesen zur Mittagszeit noch viel mehr unendliche Mengen von Menschen, die sich in einem irrsinnigen Gedränge von einer Bude zur nächsten schieben (oder schieben lassen). 

Stress zur Mittagszeit

DAS kommt meiner Vorstellung von China schon ziemlich nahe, aber andererseits ist Shanghai für solche Gegenden definitiv die „falsche“ Stadt. Hier trägt Mann und Frau gerne seinen Stolz zur Schau und das Geld in all die Läden, die wir von Europa her kennen und deren Namen ich jetzt hier nicht aufzähle, weil es einfach nur nervt.

Am nervigsten jedoch sind die auf Alt gemachten neuen Strassenzüge. Die Regierung drängt offenbar die historischen Viertel zurück und schafft besucherkonforme Einkaufsmeilen, die so gar nichts urwüchsiges mehr haben. Klar kann ich es auch aus Sicht der Bewohner verstehen: in den Seitenstrassen sieht es oft schlimm aus für uns Europäer und wir wollen da sicher auch nicht wohnen. Wenn man andererseits bedenkt, dass der Chinese, der hier vorher sein Haus hatte, die neuen Mieten/Kaufpreise niemals zahlen kann, dann frage ich mich schon, wer dann da wohnt und wohin die Alteingesessenen ausgewichen sind. Schöner Kommunismus…







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