30 Oktober 2010

Medizinische Versorgung am Ende der Welt

Im Umkreis von Lugala, dem Standort unseres Hospitals, leben cirka 120.000 Menschen. Verstreut im Busch in winzigen Dörfern oder einfach in einzelnen Häusern mitten in der Wildnis. Obwohl die Gegend so abgelegen ist, glaubt man nicht wie zersiedelt die Natur hier ist. Überall führen Pfade durch den Busch zu einzelnen Häusern, ein verwirrendes Labyrinth, für das man einen ortskundigen Führer braucht, wenn man zum Beispiel mit dem Fahrrad eine Tour machen mächte. Die Grenze in Richtung Westen bildet der Fluß, über den keine Brücke führt - oder besser: keine richtige Brücke mehr. Es gab wohl mal eine, aber bei einem der letzten Regenzeit-Hochwasser ist sie weggeschwommen. Mutige Leute gehen in der Trockenzeit zu Fuss durchs Wasser, das dann etwa hüfthoch steht. Andere lassen sich mit einem Einbaum übersetzen. Dazu gehören die Schwestern des Hospitals, die mit dem pikipiki (Moped) unterwegs sind, um im outreach medizinische Versorgung zu gewährleisten oder Aufklärungsunterricht zu geben. Zwie Orte, die regelmäßig zu besuchen sind, sind Ngalimina und Tanganyika Masagati. In beiden Dörfern gibt es einen kleinen medizinischen Aussenposten, eine Dispensary: Poliklinik, Entbindungsstation, Apotheke und Nachrichtenverteiler in einem. Ein "Arzt" und eine "Schwester" und ein "Wachmann" sind hier ständig stationiert und halten Sprechstunden ab. Unser Ziel nach dem Besuch des Hospitals war Tanganyika Masagati. Wenn der Begriff "Ende der Welt" gesteigert werden könnte, müßte man Masagati sagen. Da der Weg durch den Fluß selbst für den Toyota Landcruiser mit oben angebrachtem Luftansaugrohr nicht möglich ist, fahren wir vier Stunden Richtung Nordosten, nach Ifakara, setzen dort mit der Fähre über und nehmen dann wieder südwestliche Richtung auf der anderen Seite des Kilombero. Eine anstregende 9-Stunden-Fahrt über unbefestigte Straßen und 13 Bahnübergänge der TAZARA, die von Dar es Salaam bis nach Sambia führt. Ein kurzes Stück in der Nähe des Kihansi-Damms ist asphaltiert und eine Wohltat für die durchgeschüttelten Reisenden. Irgendwann kommen wir in Taveta an, einem entlegenen Flecken. Hoch über dem Dorf thront eine ehemalige Schweizer Missionsstation der Kapuziner, mit Kirche, Dormitorium, Krankenstation und Schule. Es sieht tatsächlich aus wie in den Alpen, wenn die Bananenstauden und Palmen nicht wären. Die Missionare haben Anfang der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts alles, was für den Bau gebraucht wurdee, hier herangeschleppt: gelbe Backsteine, Kirchenbänke, Biberschwanz-Dachziegel, Schränke, Leuchter und was alles sonst noch gebraucht wurde. Das ganze ist ein Stück unwirkliche Welt inmitten des afrikanischen Urwaldes. Vom Badfenster hat man - früh genug aufgestanden vorausgesetzt - einen wunderbaren Blick auf die über dem Dschungel aufgehende Sonne... Die Station ist heute der katholische Pfarrsitz des Ortes mit Priester und zwei Nonnen, die für das große Areal verantwortlich sind. Dem Priester sieht man irgendwie an, dass er eigentlich nur weg will aus dieser Einsamkeit. Hier in Taveta übernachten wir im Dormitorium, werden vom Priester und seinem Gehilfen mit dem üblichen Essen versorgt: Reis mit Huhn zum Abendessen und Huhn mit Reis zum Frühstück. Nach dem Abendessen ist noch etwas Nachtleben angesagt. Wir besuchen die örtliche Kneipe, die ein typisches Produkt afrikanischer Planung ist: in einem Dorf mit vielleicht 50 Einwohnern gibt es eine Kneipe mit Platz für eine 150-köpfige Hochzeitsgesellschaft, beleuchtet von einer winzigen Glühbirne. Der Barkeeper muss erst noch geweckt werden und zaubert dann aus seinem Vorratsraum ungekühltes (wie auch?) tansanisches Bier hervor: Castle, Kilimandjaro usw. Kein schlechtes Bier übrigens. Dann gibt es noch "Double Punch", ein ungenießbares alkoholisches Gebräu aus Prima Sprit und Ananas-Aroma in Plastiktüten abgefpllt wie bei uns die Probierpackungen für Haarwaschmittel. Für den Weg von und zur Kneipe brauchen wir diesmal keine Taschenlampen. Der Vollmond scheint so hell, dass der ganze Weg gut beleuchtet ist.
Früh am nächsten Morgen brechen auf um nach Tanganyika Masagati zum kommen. Das liegt etwa 15 Kilometer und sieben abenteuerliche Brücken entfernt. Die Straße windet sich durch ein Tal und quert einige Flüsse und Bäche über Brücken, die aus Stämmen und Brettern bestehen, die wiederum mit Stricken zusammengebunden sind. Unten im Fluss warten die Krokodile auf's Essen. Kuandika, unser versierter Fahrer, schickt uns, wenn es ihm zu riskant erscheint, aus dem Auto, prüft mit skeptischen Blicken die Standfestigkeit, (während vor uns ein Lkw die Brücke nimmt) und bringt dann wirklich souverän unser Auto über jede Schwierigkeit, während wir draussen warten und uns aufs Schlimmste gefaßt machen... Also wirklich: diese Brücken waren ein bleibendes Erlebnis.

Das Dormitorium in Taveta, mitten im afrikanischen Dschungel.


Nach kurzer Fahrt kommen wir nach Masagati. Während der Anreise haben wir schon gesehen, was wir hier auch feststellen: die Zivilisation ist tatsächlich vorgedrungen, allerdings im negaitven: der Urwald wurde vor nich allzu langer Zeit abgeholzt und hinterläßt eine recht kahle Hügelandschaft, auf der sich zwar wieder etwas tut, aber noch lange nicht die hohen Bäume stehen, deren Wurzeln das Wasser in der Regenzeit aufnehmen können. Deswegen fließt es die Hänge hinab und zum Beispiel in unsere Dispensary rein. Eine Aufgabe heute ist deswegen: einen Graben zu schachten und ein Drainage-Rohr verlegen. Jetzt kann der weiße Mann zeigen, wie er arbeiten kann... aber das lassen sich die Dorfmänner nicht nehmen und mit der Zeit sind so ziemlich alle am Schuften. Kuandika, der bereits als Fahrer einen guten Job macht, ist auch ein fleißiger Handwerker. Während des Tages hat er zwölf Fensterrahmen ausgebaut, gesäubert, gerichtet und mit neuen Mosquito-Netzen wieder eingebaut. Im Inneren haben die Frauen mehrere Räume neu gemalert und dann angefangen, die ganze Station zu säubern und aufzuräumen, unter den kritischen Augen des örtlichen Arztes und der Schwester. Man mag über den Sinn und die Wirkung derartiger Aktionen geteilter Meinung sein, aber wenn eine deutsche Krankenschwester erstmal angefangen hat mit Saubermachen, gibt es kein Halt mehr bis nicht alles pikobello sauber ist.

Großreinemachen...

So hat unser Tag in Masagati auch vier Stunden länger gedauert als geplant. Er schließt ab mit einem großen Feuer hinter dem Haus, in dem alles verbrennt, was nicht mehr gebraucht wird und eigentlich schon lange auf den Müll gehört hätte. Und mit vielen Ideen, was unbedingt in der Zukunft besser gemacht werden könnte. Ich weiß nicht, wie viel davon umgesetzt wird.
Die Kinder, die den ganzen Tag ein wenig scheu aus sicherer Entfernung das Treiben beobachtet haben, verabschieden uns dann doch noch mit einigem Enthusiasmus, wahrscheinlich erzeugt durch die vielen kleinen Mitbringsel, die zum Schluß noch zur Verteilung kamen: unsere Entwicklungshelferinnen in Aktion...
Ziemlich müde und dreckig sind wir dann wieder in Taveta, zur Übernachtung angekommen.

"Die Wilden Kerle" - hier landen unsere gutgemeinten Kleiderspenden und ruinieren die einheimische Textilindustrie

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