Grosser Bahnhof - die Haupthalle der Union Station in Washington DC. |
Edle Verkaufsstände prägen den Bahnhof. Ich rechne es mal dem Samstag-Morgen zu, dass so wenig Leute da waren. |
Wie bereits erwähnt, hatte ich mich entschlossen, mit dem Amtrak-Zug von Washington hinauf bis nach Bridgeport, Connecticut zu fahren. Eine Strecke von etwa 400 Meilen. Und da ich keine Ahnung hatte, wie das praktisch funktioniert, war ich frühzeitig in Washington an der Union Station und hatte ausreichend Zeit, mir den Bahnhof anzusehen, der mir doch etwas zu überproportioniert erschien, gemessen an der Zahl der anwesenden Reisenden. Aber das ist ein bisschen unfair, wenn man den Niedergang der Personenbahn in den USA bedenkt. Zu seinen Hoch-Zeiten hatte der Bahnhof täglich ca. 200'000 Reisende durchzuschleusen. Heutzutage sind es insgesamt, d.h. alle Personen, die die integrierten Freizeit- und Vergnügungsmöglichkeiten nutzen UND die paar Hanseln, die in Züge steigen, gerade mal noch knapp 88'000 Personen pro Tag. Viel, gewiss. Aber trotzdem verläuft sich die Masse in den riesigen Hallen.
Diese übrigens stehen auch nur noch, weil man sich in den 70er Jahren entschloss, im Bahnhof ein Visitor Center für die 200-Jahr-Feier der Vereinigten Staaten einzurichten und als das wieder geschlossen wurde (1978), weil das Dach einzustürzen drohte, war die Zeit offenbar so weit, dass man den Wert solcher historischen Gebäude wieder mehr zu schätzen wusste. Sonst wäre, wie vielerorts der Abriss gekommen.
Heute befindet sich der Bahnhof im Besitz einer gemeinnützigen Organisation, die es an einen Immobilienbewirtschafter vermietet hat. Wichtigstes Business ist - wie könnte es anders sein - Essen, Trinken und Einkaufen sowie das Parkieren von Autos. Das Gebäude selbst hat es auf die Liste der Kulturdenkmäler von nationaler Bedeutung geschafft.
Ich habe mich unter die Reisenden gesellt und etwa 20 Minuten vor Abfahrt wurden die Türen von der Wartehalle zu den Bahnsteigen geöffnet. Unvermutet hatte ich einen Sitzplatz in der besseren Wagenklasse und weil ich immer darauf achte, rechtzeitig am Gate zu sein, konnte ich als einer der ersten den Zug besteigen und hatte noch relativ freie Wahl (der Zug kam aus Norfolk und war schon etwa halb voll belegt). Ein Fensterplatz an der Sonnenseite - was will man mehr. Der Zug fliegt übers Land, durch berühmte Städte hindurch wie etwa Baltimore und Philadelphia, schliesslich auch durch die Pennsylvania Station in New York City; am Ende meiner Reise kommt er in Bridgeport, Connecticut an (und fährt dann noch bis nach Boston weiter). Und das alles pünktlich, und zwar an jeder der 20 Stationen. So kann Bahnfahren auch gehen und so macht es auch wirklich Spass.
Vor mir lagen dann 6 volle Tage in Connecticut, die ich (ich hatte mich inzwischen entschieden...) mit nichts anderem zu füllen gedachte, als mit Rumfaulen - Ferien in den Ferien sozusagen.
Einigen Sehenswürdigkeiten haben wir, das heisst ich und mein Freund Mark (seine Frau musste arbeiten), dann doch unsere Aufwartung gemacht. Das State Capitol von Connecticut in Hartford ergänzte meine persönliche Capitol-Besuchsliste und ermöglichte mir nun endlich, ein solches in Betrieb zu erleben. Es war nämlich gerade die jährliche Sitzungswoche von Senat und Repräsentantenhaus und im Gebäude wuselte es wie in einem Bienenstock: Politiker, Beamte, Assistenten, Schulklassen und - mittendrin - Demonstranten, die bis vor die Türen der Sitzungssäle ihre Transparente aufspannen konnten. Es wurde an dem Tag über eine Maut für ganz Connecticut abgestimmt.
Connecticut State Capitol |
Blick in das Abgeordnetenhaus (Mittagspause) |
Einer der Volkshelden aus dem Befreiungskrieg: Nathan Hale. |
Ein anderes Erlebnis war der Besuch des Shore Line Trolley Museums und damit komme ich zum Nahverkehr. Was ich nämlich bis dahin nicht wusste: die ganze Küstenregion des Staates war bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts durchzogen von Tramgleisen und etliche Bahnunternehmen bedienten die Strecken zwischen den Wohngebieten und den Industrieanlagen, denn Connecticut war einer der wichtigsten Produktionsstandorte in den USA. Vor allem die Rüstungsindustrie in den Kriegsjahren beschäftigte Heerscharen von Menschen. Vom öffentlichen Nahverkehr ist fast nichts übrig geblieben. Das Tramsystem wurde in den 40er und 50er Jahren stillgelegt während der Staat industriell geprägt blieb.* Connecticut ist bis heute einer der reichsten Bundesstaaten, gemessen am Bruttoinlandsprodukt und steht bezüglich Bildung und Lebensstandard mit an der Spitze der USA.
Vielleicht deswegen ist vom Trolley-System wenigstens ein Museum übriggeblieben: Man kauft einen Fahrschein am Schalter (= Eintrittskarte), ein Schaffner knipst den ab und der Tramfahrer fährt den Besucher sodann mit einem uralten (!) Strassenbahnwagen durch eine Sumpf- und Seenlandschaft zum Tramdepot, wo noch mehr Rollmaterial herumsteht. Teils wunderschön herausgeputzt, teils schlummernd auf die Sanierung wartend. Einfach herrlich. Ein verborgenes Kleinod vor der Haustür, welches ich erst jetzt, nach nunmehr 16 Besuchen in den USA, entdeckt habe.
Tramwagen der Museumsbahn |
Eine Lokomotive |
Handarbeit old school |
Tramwagen ca. 1910. Die Sitzlehnen lassen sich umklappen, damit jeder immer vorwärts fahren kann. |
Tramfahren, Austern essen in Rhode Island, ein Atom-Uboot besuchen, amerikanisch frühstücken, Grillabend, den Bronx Zoo besuchen, Fernsehen, Chillen... so lässt sich die Woche zusammenfassen, an deren Ende ich mich - wehmütig - auf den Heimweg begeben musste.
Swiss flog unerbittlich pünktlich von New York ab und landete ebenso verzögerungsfrei am Morgen des Pfingstsonntages in Zürich und nur allzu gerne würde ich dem Wunsch des Kabinenpersonals nachkommen: "Wir würden uns freuen, Sie bald wieder an Bord eines unserer Flugzeuge begrüssen zu dürfen"... hach.
"Vorne oben 10, hinten oben 5"... wer kennt es nicht... |
Frische Austern. |
Es ist unglaublich, was man alles trinken kann. Bloody Mary mit Schrimp und Auster... nicht(s) für mich. |
Chillen vor dem Fernseher... |
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* Ergänzung:
Als Reaktion auf diese Beschreibung gingen mir ein paar Kommentare über das mangelhafte Nahverkehrssystem in Connecticut zu. Das stimmt auch: wie überall in den USA ist der ÖPNV nur unzureichend entwickelt - oder besser gesagt: die früher durchaus vorhandene Infrastruktur wurde teilweise heruntergewirtschaftet, teilweise kaputt-lobbyiert. Was heute an Massentransitsystemen vorhanden ist, beschränkt sich zumeist auf die mittelgrossen Städte als Buslinien und in den Metropolen gibt es U-Bahn, S-Bahn, Stadtbusse und manchmal auch Strassenbahn. Für Fernverbindungen gibt es Busnetze (zB. Greyhound), die die Regionen miteinander verbinden.
Wer aber mal kurz aufs Land fahren will kommt ohne eigenen Pkw nicht gut oder gar nicht voran. Und anstelle von Tramgleisen schlängeln sich heute durch New Haven (der Stadt mit dem Trolley Museum) ewig verstopfte Highways. Das ist leider Teil des American Way of Life...