16 Oktober 2017

Quirlig-laut und ohne (?) Plan

Bevor es losgeht: ich habe diesmal viele Bilder hochgeladen und spare mir die Mühe des Platzierens. Sie kommen alle unter dem Text!

Ganz so, wie es die Überschrift mit Fragezeichen beschreibt, ist es nicht. Irgendwer hat sich einiges ausgedacht, während die Stadt Saigon entstand. Immerhin leben an dem Ort seit mehreren tausend Jahren Menschen. Wenn man aber einen Stadtspaziergang macht, kommt einem schon ab und zu der ganz mitteleuropäische Gedanke: "wo ist die Ordnung in dem Ganzen?" Du stehst an einer Strassenkreuzung ohne Ampel (immerhin gibt es jetzt welche auch in Saigon) und fragst dich, wie es geht, dass alle Richtungen gleichzeitig fahren und kein Moped mit einem anderen zusammenstösst. Du läufst durch einen Markt, der Weg zwischen den Ständen ist vielleicht 2 Meter breit und übervölkert und trotzdem schaffen es Leute, mit wiederum ihren Töffs in beiden Richtungen (!) zusätzlich unterwegs zu sein. Du stehst an einer Kreuzung, dein Blick fällt auf einen Strommasten, an dem ein grosses Kabelgewirr hängt und trotzdem hat nahezu jede Familie Strom. Die Lösung in letzterem Beispiel ist relativ einfach: wenn ein neuer Kunde kommt, wird einfach ein neues Kabel verlegt. Wahrscheinlich bleibt das alte dann einfach tot hängen. Die anderen Probleme lassen sich mit der deutschen oder schweizerischen Rechtsordnung nicht klären. Muss vielleicht auch nicht sein. In Saigon leben trotzdem über 8 Millionen Menschen.

Wie so häufig reichen ein paar Tage schlecht aus, um die Stadt etwas tiefer zu ergründen. Immerhin habe ich meinen Guide Jerry an meiner Seite, der mir nicht nur fürsorglich die Strasse beim Überqueren freihält, sondern auch das Programm professionell abwickelt und den Weg kennt. So habe ich am gestrigen Sonntag eine Stadtrundfahrt mit wichtigen Highlights erhalten und die wunderschönen Gebäude aus der französischen Kolonialzeit gesehen, wie zum Beispiel das Postamt. Früher war das ein Bahnhof und heute ist es wieder eine grosse Poststelle mit Andenkenläden und - wie es sich für ein kommunistisch regiertes Land gehört - einem grossen Bildnis von Ho Chi Minh an der Stirnseite der Haupthalle. Die Telefonzellen, die zu jedem Postamt gehören, beherbergen heute Geldautomaten...
Der frührere Präsidentenpalast - heute genannt: der Wiedervereinigungspalast - ist ein modernes Bauwerk aus den 60er Jahren. Der Name lässt etwas Propaganda vermuten, doch das hielt sich letztlich in Grenzen. Im Parkgelände ausgestellt waren lediglich 2 Panzer, die am 1. Mai 1975 das Tor zum Gelände durchbrachen und damit die Eroberung ganz Vietnams durch die Volksbefreiungsarmee komplett machten. Im Palast, den der damalige Präsident fluchtartig verlassen hat, kann man heute die Kabinettsräume, das Büro des Präsidenten, sein Schlafzimmer, das seiner Gattin und den Bunker im Keller besichtigen. Alles fein säuberlich instand gehalten. Nur für die Wiederherstellung der Grossen Treppe in der Eingangshalle wollte die Regierung offenbar kein Geld ausgeben. Nach ihrer Zerstörung (das einzige, was 1975 zerstört hier wurde) gab es nur einen Pappmasché-Neubau für das Auge. Alle Besucher müssen sich über die Dienstbotentreppen ins Obergeschoss bemühen.
Abgesehen von der Geschichte, die dieser Ort mit sich trägt, ist das Gebäude ein eigentlich wunderschönes Stück moderner Architektur. Luftig und offen, die raumhohen Fenster hinter den Betonsäulen lassen sich im Ganzen öffnen, so dass immer ein leichter Wind durch das Gebäude weht. Eine natürliche Klimatisierung in diesem tropischen Land.
Nur im Grossen Versammlungsraum mit einer absurden Mischung aus Plüsch in Rot und Gold wacht Ho Chi Minh, der zum Zeitpunkt des Kriegsendes bereits ein paar Jahre tot war, über den Kommunismus in seinem Land. Sicher lächelt er auch weiter milde, wenn in dem Saal jährlich junge Paare zu einer gemeinsamen Hochzeit (?) eingeladen werden oder der Raum von grossen Konzernen für Firmen-Events gemietet wird, wie mir Jerry wissen liess - pecunia non olet...

Es gibt noch mehr zu sehen und zu bestaunen, im positiven Sinne wie auch im erschreckenden. Zu letzterer Gelegenheit zählt sicher das War Remnats Museum - Kriegsopfermuseum. Bis 1995 hiess es noch Ausstellungshaus für Kriegsverbrechen und Aggression und davor bis 1990 Ausstellungshaus für die Kriegsverbrechen der USA und ihrer Marionettenregierung. Die Zeiten haben sich geändert... Die Gegner in einem der fürchterlichsten Kriege unserer Zeit haben seit 1995 einen fast unglaublichen Versöhnungsprozess geleistet und sind heute, wenn nicht gerade Verbündete, so doch mindestens von gemeinsamen Interessen geleitet. Das Kriegsopfermuseum hat sich dem Wandel der Zeit angepasst, wenn es auch nicht den Inhalt der Ausstellung gross geändert hat. Man darf auch annehmen, dass in dem ganzen ebenfalls ein tüchtiger Schuss Propaganda steckt. Andererseits ist der Vietnamkrieg zwischen dem Norden und Süden Vietnams sowie den USA gut durch die westliche Presse dokumentiert und man muss dem nichts hinzufügen. Die Ausstellung heute umfasst die bekannten Themen und ein wenig auch etwas von den Fortschritten der letzten 20 Jahre. Besonders beeindruckend: das Requiem. Bilder von westlichen Kriegsreportern, die in westlichen Zeitungen veröffentlicht wurden und bei denen man sich fragt, wieso das ganze furchtbare Drama eigentlich bis 1975 dauern konnte.

Neben verschiedenen Tempeln, die es in Saigon durchaus auch gibt, standen auch mehrmals Besuche auf Märkten statt. Zunehmend machen mir solche Besuche richtig Spass und erlauben mir, das Stadtleben kennenzulernen: das der Touristen auf den Kitsch- und Krempel-Andenken-Märkten. Und das der Einheimischen auf Märkten, wo es eigentlich nur das gibt, was die Bewohner Saigons zum täglichen Leben brauchen: Fisch und Fleisch von der offenen "Theke", Anziehsachen, Unmengen von Obst und Gemüse, Moped-Ersatzteile und Fake-Uhren. Die Menschen in einer Nachbarschaft leben und wirtschaften in einer Art Mikroökonomie: sie kaufen und verkaufen innerhalb ihres Wohngebietes, leben hinter und über ihren winzigen Läden und tun das von der Hand in den Mund - ziemlich ärmlich. Für uns aus dem Westen mag das etwas befremdlich aussehen. Aber das sind genau die Gesellschaftsstrukturen, die in China grossflächig zerstört werden, indem man diese Wohn- und Marktgebiete plattmacht und den Leuten Wohnung, Einkommen und soziales Umfeld wegnimmt. Was ist nun besser?
In Vietnam geht alles etwas langsamer vonstatten als in China, aber ich habe keinen Zweifel, dass zu gegebenen Zeitpunkt hier der gleiche Prozess einsetzt, wie beim grossen Nachbarn im Norden. Punktuell begrenzt kann man das auch bereits jetzt sehen.

Morgen geht es für zwei Tage raus aufs Land. Oder besser gesagt: auf das Wasser. Ich erfülle mir - nun nicht gerade einen Lebenstraum, aber einen Wunsch, der sich aus irgendwas schon seit vielen Jahren genährt hat: eine Bootsfahrt auf dem Mekong.

Postamt im französischen Kolonialstil

Katholische Kathedrale "Notre Dame de Saigon" - heisst aber nicht wirklich so.

So stellen sich Buddhisten in Vietnam die Hölle vor.
Es gibt aber auch einen Gott der Erlösung, der angebetet wird...

Präsidentenpalast - heute "Wiedervereinigungspalast"

Kabinettssaal der "Marionettenregierung"

Und das Büro der obersten Marionette: des südvietnamesischen Präsidenten. 

Empfangszimmer für ausländische Botschafter.

Milde lächelt Ho Chi Minh, Freund aller Kinder
der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Vietnam....

Chefzimmer im Bunker. Oben war es gemütlicher. Der Chef hat das Zimmer aber auch nie benutzt.
Als der Bedarf 1975 kam, hat er sich gleich nach Amerika evakuieren lassen.

Chefauto. Bevor dieses Exemplar gebraucht nach Südvietnam kam, fuhr es in Deutschland als Taxi...
Hat mir jedenfalls mein Guide so erzählt.

Kriegsopfermuseum - immer müssen die erbeuteten Waffen des besiegten Gegners ausgestellt werden...

Und das ist das verrückte: als Spielzeug werden sie dann wieder gut verkauft.
Was anderes kauft auch keiner...

Markttreiben

Touristenware...

Ware für Einheimische

Drive Through

Sieht es nicht schon sehr katholisch aus?

Noch mehr Farben. So ordentlich kann man Stoffe stapeln...

Und milde lächelt über allem Ho Chi Minh. Haupthalle des Postamtes.


Zum Schluss noch ein historischer Ort: eines der bekanntesten Bilder vom Kriegsende in Vietnam entstand hier:  








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