13 Oktober 2016

Ein bisschen Propaganda

Heute war unser Propaganda- und Kulturtag. Mister Wang, unser Guide, holte uns um 9 Uhr im Hotel ab und dann ging es sogleich auf die kurze Fahrt zum Tian’anmen-Platz, dem Platz des Himmlischen Friedens. Dieser ist heute und seit 27 Jahren gar nicht so friedlich abgesperrt und zugegittert und von hunderten Militärpolizisten bewacht. Die Anzahl der Kameras, die von überall her auf den Platz herunteräugen, kann man nur ganz grosszügig schätzen. Auf welch wackligen Beinen muss ein Riese stehen, wenn dieser ganze Bewachungsaufwand nötig ist?

Auf dem Platz des Himmlischen Friedens.
Huldvoll lächelt der Vorsitzende Mao über das Volk

Wieso steht der Feuerlöscher da?

 Ansonsten ist der Platz riesig, eben so wie man sich ihn vorstellt nach den vielen Jahren Fernsehberichten aus China. Auf der Südseite steht das Mao-Mausoleum. Drei Stunden anstehen und man kann den konservierten hochverehrten Vorsitzenden Mao seine Reverenz erweisen (haben wir nicht gemacht). Rechterhand, auf der Ostseite steht das monumentale Chinesische Nationalmuseum. Das – wie könnte es anders sein – grösste Museum der Welt. Wir waren auch da nicht drin. Gegenüber des Museums steht die Grosse Halle des Volkes, das Parlaments- und Parteitagsgebäude. Da waren wir drin und davon wird noch die Rede sein.
Und zum Schluss, auf der Nordseite und gen Süden gewandt das Tor des Himmlischen Friedens, Namensgeber für den Platz und Haupteingang (aber früher nur für den Kaiser) zur Verbotenen Stadt. Und darüber das berühmte Mao-Bildnis unter der Balustrade, von der aus er am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China ausrief, nach jahrelangem Bürgerkrieg und japanischer Besatzung. Geradezu milde lächelt der Vorsitzende von seinem Platz über den Platz und wirkt ganz frisch und neu. Das mag hauptsächlich daran liegen, dass das Bildnis jedes Jahr im September erneuert wird, damit auch kein noch so kleiner Altersfleck den Nimbus, den Mao vor allem bei älteren Chinesen geniesst, ankratzen könnte.


Tian'anmen - Das Tor des Himmlischen Friedens.

Leider war das Tor des Himmlischen Friedens heute nicht geöffnet, somit mussten wir die Verbotene Stadt durch eines der Nebentore (eines für Beamte und eines für Soldaten) betreten. Die ganze Riesenanlage, von der ich immer dachte, es wäre eine parkähnliche Ansammlung von Palästen, ist in einer strengen Abfolge aufgebaut. Innenhof folgt auf Innenhof und jedes Tor und jeder Weg hat seine ganz bestimmte Bedeutung gehabt. Der Kaiser wurde auf einer Sänfte natürlich getragen und jede Halle war nur ganz bestimmten Personen zugänglich.  Insgesamt muss das Regieren hier ein ziemliches Getue gewesen sein. Man denke allein an die langen Wege. Und der Kaiser musste sich auf seine Beamte gut verlassen können, denn wie sonst sollte der arme Mann Entscheide treffen, die allen gerecht werden – oder mindestens den wichtigen Leuten in seiner Umgebung.
Am Ende der Tour und nach ein paar Einlassungen unseres Mister Wangs war für uns klar: In China wird das Modell „Europäische Demokratie“ für China als unzulänglich angesehen, aber den Kaiser wollte man auch nicht mehr. Also hat man den Kaiser durch die Partei ersetzt, ansonsten blieb alles beim Alten: die Beamten, die Soldaten und die Zivilisten. Wie seit 3000 Jahren.

Die Halle der Höchsten Harmonie in der Verbotenen Stadt
In der Verbotenen Stadt. Solche Innenhöfe folgen auf solchen.
"Wir folgen dem Vorsitzenden Mao"
Ach nein, das hier ist historisch. Bis in die höchsten Spitzen sehr deteilliert.

Heute muss die Partei natürlich noch ein bisschen Propaganda machen und tatsächlich und endlich habe ich gefunden, wonach ich suchte: ein aktuelles Partei-Plakat. Ziemlich lahm, aber immerhin. Auf meine Frage an Mister Wang, was da drauf steht, winkte er ab: „Ach komm, das ist nur Propaganda.“ Okay, dann übersetze ich mir das eben selbst: „Denke daran: mit den Lehren des Vorsitzenden und der Partei zum Sieg!“ Oder so ähnlich…

Oder so: "Die Lehren des Vorsitzenden Mao verhelfen zum Sieg!" Oder so

Nach einem Rundgang durch einen Park mit See – am lustigsten waren die gelben Enten-Tretboote – erklärte uns Herr Wang, das wir jetzt fertig seien und um alles andere müssten wir uns selbst kümmern. Genau! Da war ja noch die Grosse Halle des Volkes. Wenn Parlamentsgebäude solche Namen tragen, ist gesunde Skepsis angezeigt. Einerseits. Andererseits lockt sowas zum Besuch und somit musste uns der Fahrer an der Halle absetzen und wir haben eine kurze Tour durch ein Parlamentsgebäude gemacht, dass ein Mal jährlich benutzt wird, nämlich dann, wenn der nationale Volkskongress zusammentritt und durchwinkt, was die Partei in ihrer Weisheit bereits beschlossen hat. Früher sprangen die Abgeordneten noch im Gleichschritt auf und klatschten rhythmisch zu den Reden der Partei- und Staatsführer. Diese Zeiten sind wohl vorbei, aber mehr Macht und Einfluss hat das Parlament deswegen nicht. Ob dieses ganzen Stillstandes ist das Gebäude in einem Zustand, den man als „konserviert“ bezeichnen könnte. Alles ein bisschen runtergekommen, aber nicht gerade kaputt. Das Inventar, die Stühle und so sind im Design der Erbauungszeit (Ende 50er Jahre) und überhaupt scheint die ganze „gute alte Zeit“ in dem Riesenkasten zu stecken. Im Gegensatz zu Maos Leichnam gegenüber im Mausoleum oder zum Bildnis am Tor nagt hier ganz eindeutig, aber ganz langsam der Zahn der Zeit. Leider mussten wir bald wieder raus, der öffentliche Teil des Tages war vorbei. Gerne hätte ich noch den Parteitagssaal gesehen, aber der war wohl ohnehin nicht öffentlich zugänglich. Der Eintrittskartenschalter und die Taschenaufbewahrung waren übrigens auch ganz im Stile früherer Zeiten. Hier, inmitten des aufstrebenden Chinas, an der Grossen Halle des Volkes, hat sich die Zeit praktisch nicht verändert und ausser den Alu-Marken, die bei der Taschenaufbewahrung ausgegeben werden, bewegt sich hier auch nichts.


???


Sozialistischer Klassizismus: Mit Mao zum Sieg. Aber auch Mao ist verstorben und entgegen seinem Wunsch wurde er einbalsamiert und un-ruht seitdem rechterhand im Mausoleum

Den Rückweg vom Tian’anmen zu unserem Hotel machten wir zu Fuss. Zum Glück, denn so kamen wir noch in das Vergnügen, ein Postamt von innen zu bestaunen. Im Gegensatz zur Grossen Halle hat sich die Zeit hier nicht ganz so lang nicht bewegt, vielleicht nur 35 Jahre. Eine offene Schalterhalle, ganz morbider Charme, Pressplatten-Mobiliar, dass von ungezählten Händen schmutzig und schmuddelig ist. Auf den Computermonitoren alte DOS-Programme, Endlos-Druckerpapier auf Vorrat. Und alle Postbeamtinnen werden aus der gegenüberliegenden Seite überwacht vom Postvorsteher, der sein eigenes kleines Karee neben den Eingangstüren hat und eigentlich nur an seinem Schreibtisch sitzt. Ich liebe es. Aber leider konnte ich keine Fotos machen.


Das "Playmate" des Monats - interessiert sich nicht für Politik

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