Heute war unser
Propaganda- und Kulturtag. Mister Wang, unser Guide, holte uns um 9 Uhr im
Hotel ab und dann ging es sogleich auf die kurze Fahrt zum Tian’anmen-Platz,
dem Platz des Himmlischen Friedens. Dieser ist heute und seit 27 Jahren gar
nicht so friedlich abgesperrt und zugegittert und von hunderten
Militärpolizisten bewacht. Die Anzahl der Kameras, die von überall her auf den
Platz herunteräugen, kann man nur ganz grosszügig schätzen. Auf welch wackligen
Beinen muss ein Riese stehen, wenn dieser ganze Bewachungsaufwand nötig ist?
Auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Huldvoll lächelt der Vorsitzende Mao über das Volk |
Wieso steht der Feuerlöscher da? |
Ansonsten ist der Platz riesig, eben so wie man sich ihn vorstellt nach den vielen Jahren Fernsehberichten aus China. Auf der Südseite steht das Mao-Mausoleum. Drei Stunden anstehen und man kann den konservierten hochverehrten Vorsitzenden Mao seine Reverenz erweisen (haben wir nicht gemacht). Rechterhand, auf der Ostseite steht das monumentale Chinesische Nationalmuseum. Das – wie könnte es anders sein – grösste Museum der Welt. Wir waren auch da nicht drin. Gegenüber des Museums steht die Grosse Halle des Volkes, das Parlaments- und Parteitagsgebäude. Da waren wir drin und davon wird noch die Rede sein.
Und zum Schluss,
auf der Nordseite und gen Süden gewandt das Tor des Himmlischen Friedens, Namensgeber
für den Platz und Haupteingang (aber früher nur für den Kaiser) zur Verbotenen
Stadt. Und darüber das berühmte Mao-Bildnis unter der Balustrade, von der aus
er am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China ausrief, nach jahrelangem
Bürgerkrieg und japanischer Besatzung. Geradezu milde lächelt der Vorsitzende
von seinem Platz über den Platz und wirkt ganz frisch und neu. Das mag
hauptsächlich daran liegen, dass das Bildnis jedes Jahr im September erneuert
wird, damit auch kein noch so kleiner Altersfleck den Nimbus, den Mao vor allem
bei älteren Chinesen geniesst, ankratzen könnte.
Tian'anmen - Das Tor des Himmlischen Friedens. |
Leider war das
Tor des Himmlischen Friedens heute nicht geöffnet, somit mussten wir die Verbotene
Stadt durch eines der Nebentore (eines für Beamte und eines für Soldaten)
betreten. Die ganze Riesenanlage, von der ich immer dachte, es wäre eine
parkähnliche Ansammlung von Palästen, ist in einer strengen Abfolge aufgebaut.
Innenhof folgt auf Innenhof und jedes Tor und jeder Weg hat seine ganz
bestimmte Bedeutung gehabt. Der Kaiser wurde auf einer Sänfte natürlich
getragen und jede Halle war nur ganz bestimmten Personen zugänglich. Insgesamt muss das Regieren hier ein
ziemliches Getue gewesen sein. Man denke allein an die langen Wege. Und der
Kaiser musste sich auf seine Beamte gut verlassen können, denn wie sonst sollte
der arme Mann Entscheide treffen, die allen gerecht werden – oder mindestens
den wichtigen Leuten in seiner Umgebung.
Am Ende der Tour
und nach ein paar Einlassungen unseres Mister Wangs war für uns klar: In China
wird das Modell „Europäische Demokratie“ für China als unzulänglich angesehen,
aber den Kaiser wollte man auch nicht mehr. Also hat man den Kaiser durch die
Partei ersetzt, ansonsten blieb alles beim Alten: die Beamten, die Soldaten und
die Zivilisten. Wie seit 3000 Jahren.
Die Halle der Höchsten Harmonie in der Verbotenen Stadt |
In der Verbotenen Stadt. Solche Innenhöfe folgen auf solchen. |
"Wir folgen dem Vorsitzenden Mao" Ach nein, das hier ist historisch. Bis in die höchsten Spitzen sehr deteilliert. |
Heute muss die
Partei natürlich noch ein bisschen Propaganda machen und tatsächlich und
endlich habe ich gefunden, wonach ich suchte: ein aktuelles Partei-Plakat.
Ziemlich lahm, aber immerhin. Auf meine Frage an Mister Wang, was da drauf
steht, winkte er ab: „Ach komm, das ist nur Propaganda.“ Okay, dann übersetze
ich mir das eben selbst: „Denke daran: mit den Lehren des Vorsitzenden und der
Partei zum Sieg!“ Oder so ähnlich…
Oder so: "Die Lehren des Vorsitzenden Mao verhelfen zum Sieg!" Oder so |
Nach einem
Rundgang durch einen Park mit See – am lustigsten waren die gelben Enten-Tretboote
– erklärte uns Herr Wang, das wir jetzt fertig seien und um alles andere
müssten wir uns selbst kümmern. Genau! Da war ja noch die Grosse Halle des
Volkes. Wenn Parlamentsgebäude solche Namen tragen, ist gesunde Skepsis
angezeigt. Einerseits. Andererseits lockt sowas zum Besuch und somit musste uns
der Fahrer an der Halle absetzen und wir haben eine kurze Tour durch ein
Parlamentsgebäude gemacht, dass ein Mal jährlich benutzt wird, nämlich dann,
wenn der nationale Volkskongress zusammentritt und durchwinkt, was die Partei
in ihrer Weisheit bereits beschlossen hat. Früher sprangen die Abgeordneten
noch im Gleichschritt auf und klatschten rhythmisch zu den Reden der Partei-
und Staatsführer. Diese Zeiten sind wohl vorbei, aber mehr Macht und Einfluss
hat das Parlament deswegen nicht. Ob dieses ganzen Stillstandes ist das Gebäude
in einem Zustand, den man als „konserviert“ bezeichnen könnte. Alles ein
bisschen runtergekommen, aber nicht gerade kaputt. Das Inventar, die Stühle und
so sind im Design der Erbauungszeit (Ende 50er Jahre) und überhaupt scheint die
ganze „gute alte Zeit“ in dem Riesenkasten zu stecken. Im Gegensatz zu Maos
Leichnam gegenüber im Mausoleum oder zum Bildnis am Tor nagt hier ganz
eindeutig, aber ganz langsam der Zahn der Zeit. Leider mussten wir bald wieder raus,
der öffentliche Teil des Tages war vorbei. Gerne hätte ich noch den
Parteitagssaal gesehen, aber der war wohl ohnehin nicht öffentlich zugänglich.
Der Eintrittskartenschalter und die Taschenaufbewahrung waren übrigens auch
ganz im Stile früherer Zeiten. Hier, inmitten des aufstrebenden Chinas, an der
Grossen Halle des Volkes, hat sich die Zeit praktisch nicht verändert und
ausser den Alu-Marken, die bei der Taschenaufbewahrung ausgegeben werden, bewegt
sich hier auch nichts.
??? |
Sozialistischer Klassizismus: Mit Mao zum Sieg. Aber auch Mao ist verstorben und entgegen seinem Wunsch wurde er einbalsamiert und un-ruht seitdem rechterhand im Mausoleum |
Den Rückweg vom
Tian’anmen zu unserem Hotel machten wir zu Fuss. Zum Glück, denn so kamen wir
noch in das Vergnügen, ein Postamt von innen zu bestaunen. Im Gegensatz zur
Grossen Halle hat sich die Zeit hier nicht ganz so lang nicht bewegt,
vielleicht nur 35 Jahre. Eine offene Schalterhalle, ganz morbider Charme,
Pressplatten-Mobiliar, dass von ungezählten Händen schmutzig und schmuddelig
ist. Auf den Computermonitoren alte DOS-Programme, Endlos-Druckerpapier auf
Vorrat. Und alle Postbeamtinnen werden aus der gegenüberliegenden Seite
überwacht vom Postvorsteher, der sein eigenes kleines Karee neben den
Eingangstüren hat und eigentlich nur an seinem Schreibtisch sitzt. Ich liebe
es. Aber leider konnte ich keine Fotos machen.
Das "Playmate" des Monats - interessiert sich nicht für Politik |
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