Der Vorsitzende
Mao Zedong wurde und wird ja im Westen immer wieder gerne verklärt und es gab
Zeiten, wo es sich in bestimmten Kreisen geziemte, eine Mao-Jacke zu tragen.
Auf unserer China-Reise haben mein Vater und ich schon des öfteren gewitzelt,
ob wir nun endlich in Peking jemanden sehen, der diese Jacke aus
offensichtlicher Überzeugung trägt. Doch genauso wie mein Bruder Benjamin uns
in Shanghai bezüglich der Parolen enttäuschen musste, genauso hat uns heute
unser Guide hier enttäuscht. Ein Mao-Jacke sieht man nicht mehr. Nicht mal mehr
die Parolen, nach denen ich doch so gerne Ausschau gehalten hätte. Einzig die
Propaganda-Plakate aus der Chaos-Zeit der Kulturrevolution sind gelegentlich
noch als Relikte ausgestellt. Niemand erinnert sich gerne an diese Zeiten
zurück.
Heute haben wir,
das heisst, Uli und ich (Benjamin ist auf Hainan – dem Hawaii Chinas und sicher
auch unendliche Quelle für Blogeinträge) nach Peking gereist. Mit China Eastern
Airlines, die mit ihrem Bord-Entertainment ganz der asiatisch-chinesischen Linie zu
folgen scheinen: kein Kind ist klein genug, um nicht schon radikalisiert zu
werden. Nur Mord und Totschlag und Propaganda. Das war, muss ich ehrlich sagen,
etwas abstossend.
Peking
unterschied sich dann ersteinmal durch die Luftqualität. Shanghai ist ja auch
nicht gerade als Luftkurort bekannt, aber das, was wir in Peking antrafen, übertraf dann Shanghai bei weitem und ebenso meine Erwartungen. Eine trübige milchig-gelbe Dunstglocke liegt über der
20-Millionen-Hauptstadt. Nichts für verwöhnte Mitteleuropäer, die Alpen-Bergluft
gewohnt sind. Nun denn, aus dieser Brühe kommen wir die nächsten Tage nicht
heraus. Herr Wang, unser deutschsprachiger Guide für die nächsten Tage empfängt
uns aber ganz gelassen und zeigt uns zum Einstieg einen echten Pekinger Hutong,
eine dörflich anmutende Siedlungsform inmitten einer Millionenstadt und von
dieser sogar mitten im Zentrum. Mehrere Familien siedeln sich um eine
Wasserquelle an und errichten dort typische flache, lange Häuser, die von einer
Mauer umgeben ist. Innerhalb dieser „Compounds“ wohnen die Menschen und zu den
Gassen heraus liegen die verrücktesten Geschäfte: Baumärkte mit 10
Quadratmetern Grundfläche, Garküchen, Ladestationen für Moped-Batterien (dass
man so viele Stecker.-Verteiler verzweigen kann, ohne dass die Sicherung
rausspringt, wusste ich gar nicht...), Obstläden, Saftläden, dazwischen Mütter,
die auf offener Strasse ihre Babies windeln. Ich glaube, originaler geht es gar
nicht. Das scheint tatsächlich der ursprüngliche
Lebensstil der Pekinger Bewohner gewesen zu sein bzw. ist es an wenigen Stellen
noch. Die Hutongs sind auf dem Rückzug. Die jüngere Generation will mehr Platz
und mehr Komfort und Bodenspekulationen treiben die Bewohner in die Aussenringe
von Peking. Wenn das erledigt ist, werden die alten Hütten abgerissen und moderne
Hutongs errichtet, in denen dann nur noch eine Familie mit entsprechend Geld
auf dem Konto lebt – umgekehrte Wohnraumverdichtung.
Hauptstrasse im Hutong. Das Wort stammt aus dem Mongolischen und bedeutet Wasserquelle |
Baumarkt (links im Bild!) |
Noch ein wenig
Geschichte: Im Wesentlichen sind uns heute zwei von Maos Kampagnen zumindest
begrifflich noch bekannt: Der „Grosse Sprung nach vorn“, die Industrialisierungswelle,
die mit 40-50 Millionen Toten endete und ein Riesenchaos hinterliess und die
Kulturrevolution, die eine unbestimmte Anzahl Menschenleben forderte, mindestens
400‘000 und ein noch grösseres Durcheinander brachte, dazu unzählige zerstörte
Existenzen und Kulturgüter. Erst mit Maos Tod 1976 endete sie bzw. wurde
umgehend eingestellt. Deng Xiaoping, einer der späteren Führer der Volksrepublik
sagte über Mao, er habe 70 Prozent gut gemacht und 30 Prozent schlecht und
diese 30 Prozent dürften sich nie wieder wiederholen. Ich glaube, diesem
Gedanken folgen die meisten Chinesen. (Deng war übrigens einer der letzten, die immer in Mao-Jacke aufgetreten sind.)
Ansonsten sind
sich die Forscher uneinig darüber, welchen Einfluss Mao auf die Entwicklung
Chinas nun wirklich hatte und was passiert wäre ohne ihn. Morgen werden wir Mao
besuchen. Zumindest sein weltbekanntes Porträt über dem Tor zur Verbotenen
Stadt. Vielleicht geistert er ja dort noch ein wenig herum, so wie gelegentlich „seine“
Witze wie der folgende:
Der Vorsitzende
Mao nimmt eine grosse Parade in Peking ab. Tausende, Abertausende,
Hundertausende Arbeiter ziehen an der Tribüne vorbei. Da erblickt Mao einen
Arbeiter mit Fusslappen, während all die anderen barfüssig vorübermarschieren.
Sofort lässt er diesen Abweichler herausgreifen und zu sich auf die Tribüne
schleppen, wo er ihn zur Rede stellt. Der arme Mann schlottert vor Angst und
Ehrfurcht: „Vorsitzender Mao, ich kenne mich mit den Gebräuchen in der
Hauptstadt noch nicht so aus. Ich bin doch erst gestern nach Peking gekommen.“
Mao zürnt: „Was? Erst gestern gekommen und schon im Intershop gewesen!“
"Gemeinsam mit dem Vorsitzenden Mao werden die Roten Garden die Lehnsherren zertrümmern" - Oder so ähnlich |
Unser Guide, Herr
Wang, war heute sehr auskunftsfreudig und fast alle Themen, die mich am
modernen China interessieren, haben wir schon mal gestreift: Nordkorea,
Waffenimporte, Taiwan, Vietnam, Internetzensur… Herr Wang ist Chinese, aber er
redet gern und ich glaube, ich verstehe die Chinesen so langsam besser, auch
wenn ich nach wie vor in gewissen Themen sehr skeptisch bin.
Was bleibt als
Fazit heute? Peking ist eine Riesenstadt, die sich von der 3000-jährig
gewachsenen Kulturstadt in eine Planstadt verwandelt. Ein bisschen davon wollen
wir morgen und in den nächsten Tagen sehen. Mittlerweile beginne ich China gern
zu haben…
Im Trommelturm: Früher wurden auf diese Weise die Tageszeiten verkündet. |
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