Bevor ich nach
China kam, habe ich mich gefragt, wer mir all die kommunistischen Parolen
übersetzt, die man ja aus solchen Ländern kennt und die ich sogar noch
persönlich gesehen habe zu seligen DDR-Zeit, bloss eben auf Deutsch. Mein
Bruder musste mich enttäuschen: sowas wirst du in Shanghai wahrscheinlich
überhaupt nicht mehr sehen, dafür ist die Stadt viel zu kapitalistisch
orientiert. Was die in Peking machen, interessiert hier sowieso keinen… und so
weiter.
Na gut, dann muss
ich mir das eben in der Phantasie vorstellen: über vielen Einfahrten oder
Eingängen Gold auf Rot: „Voran mit dem Vorsitzenden Mao zur Erreichung der
Ziele des Fünfjahrplanes“ oder „Die Worte Maos als Leitpfad zum Kommunismus!“…
Mein Bruder: das ist eine Einfahrt zu einem grossen Baumarkt, die verkaufen da
schöne Sachen zum Selberbauen; das da ist die Werbung…
In der Tat, China
und wohl insbesondere Shanghai ist nicht mehr so wirklich das Land des Grossen
Vorsitzenden, stattdessen das des Turbokapitalismus. In den elitären Einkaufsstrassen
reiht sich ein Uhrenladen an den anderen, schön eingerahmt von der chinesischen
Variante des Sternenbanners. Und die Strassen sind so voll mit Konsumenten,
dass man glaubt, es geht nur noch ums Geldausgeben. Übrigens: ein Smartphone
hat hier jeder ab mindestens 12 Jahren bis hinauf ins Greisenalter. Und wenn
man an einem ärmlichen Verkaufsstand vorbeikommt, dann schauen die ärmlichen
Leute nicht andere Leute an, sondern zumeist ihr Telefon…
Der Zugang zum
Internet ist allerdings fest in der Hand der Regierung. Bestimmte Webseiten wie
zB. Google mit meiner Blogger-Seite sind praktisch gar nicht zu erreichen (weil
Google sich vor einigen Jahren weigerte, bei der Zensur mitzuhelfen), und auch
die VPN-Verbindungen werden regelmässig blockiert. Was gut geht ist Roaming mit
meinem Swisscom-Abo, das wird wahrscheinlich direkt nach Europa durchgeleitet –
harmloser Tourist. Somit kommt leider das Bloggen etwas kurz, denn es ist recht
mühsam, das langsame VPN zu benutzen und über das Handy wird dann das gekaufte
Datenpaket ziemlich schnell verbraucht.
Buddhistischer Tempel in Qibao - Mehr Gold als bei den Katholiken.. |
Andererseits
waren wir in den letzten drei Tagen nicht ganz untätig. Wir haben das neue
Shanghai besucht, den Shanghai Tower in Pudong, der zwischen all diesen neuen
Hochhäusern steht und gerade erst eröffnet wurde. Vor dreissig Jahren gab es
hier nur kleine Hütten, verwinkelte Quartiere und viel Armut. Davon sieht man
heute nichts mehr. Wir wollten trotzdem einen Eindruck davon und sind am
nächsten Tag in ein „historisches“ Viertel zum Frühstück gefahren: in die „Kommune“
(ich muss das Stadtviertel noch nachreichen…) Angeblich ist hier alles wie zur
Revolution, allerdings kamen mir die Modeläden, Souvenierläden, Cafés und
etc-Läden schwer touristisch vor. Die Krönung waren die ganz kommunistischen
Kaffeebecher im Email-Look mit Beule, die aber an jedem Becher gleich geformt
war, ganz davon abgesehen, dass dieser aus Keramik war… Das war ein schönes, auf
Alt gemachtes Stück Shanghai, was ich umgehend bei meinem Bruder reklamiert
habe.
Auf alt gemachte Kaffeebecher mit Beule - Aus Keramik |
Also sind wir am gestrigen Mittwoch nach Qibao gefahren, gleich mit dem
Stadtbus, ein paar Stationen vom Compound entfernt. Das ist zwar auch ein wenig
touristisch, aber immerhin für chinesische Touristen. Hier gab es tatsächlich
noch Läden, wo Sachen verkauft werden, die der Chinese zum Alltag benötigt,
dazwischen unendliche Mengen von Garküchen und zwischen diesen zur Mittagszeit
noch viel mehr unendliche Mengen von Menschen, die sich in einem irrsinnigen Gedränge
von einer Bude zur nächsten schieben (oder schieben lassen).
Stress zur Mittagszeit |
DAS kommt meiner
Vorstellung von China schon ziemlich nahe, aber andererseits ist Shanghai für
solche Gegenden definitiv die „falsche“ Stadt. Hier trägt Mann und Frau gerne
seinen Stolz zur Schau und das Geld in all die Läden, die wir von Europa her
kennen und deren Namen ich jetzt hier nicht aufzähle, weil es einfach nur
nervt.
Am nervigsten
jedoch sind die auf Alt gemachten neuen Strassenzüge. Die Regierung drängt
offenbar die historischen Viertel zurück und schafft besucherkonforme Einkaufsmeilen,
die so gar nichts urwüchsiges mehr haben. Klar kann ich es auch aus Sicht der
Bewohner verstehen: in den Seitenstrassen sieht es oft schlimm aus für uns
Europäer und wir wollen da sicher auch nicht wohnen. Wenn man andererseits
bedenkt, dass der Chinese, der hier vorher sein Haus hatte, die neuen
Mieten/Kaufpreise niemals zahlen kann, dann frage ich mich schon, wer dann da
wohnt und wohin die Alteingesessenen ausgewichen sind. Schöner Kommunismus…
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